Program Winter Olympics Nagano 1998—design sample of the designer Kenya Hara

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[introducing text.]

Einleitung

Im Unterschied zur japanischen Gestaltungstradition wie der Ästhetiklehre ›wabi-sabi‹ ist das moderne Design Japans hell und von klaren Farben geprägt. Diese sind nicht zwangsläufig stark gesättigt, können matt und pastellig sein, selten jedoch trübe und düster. Halbtransparenzen, die nicht alles klar erkennen lassen, finden sich dennoch wieder. Sie zeigen jene Transzendenz, die die Mentalität der Japaner widerspiegelt, nicht alles klar und logisch verstehen und erklären zu müssen. Auch sie ist licht, verschleiert mehr als dass sie verdunkelt. Die Formgebung ist klar, meist jedoch nicht kalt oder kantig, sondern freundlich, anmutig und beruhigend, zuweilen verspielt. So nehme ich persönlich die zeitgenössische japanische Gestaltung wahr, zumindest jene, die nicht knallbunt, quietschig und laut und so typisch für die Populärkultur des Landes ist.

Ich genieße den Aufenthalt in japanischen Städten, da ich dort neben den traditionellen Orten wie Tempeln und alten Wohnhäusern auf Plakaten, in Galerien und Buchhandlungen auch jene Gestaltung antreffe, die sich trotz vieler Bezüge zur internationalen Moderne etwas typisch Japanisches erhalten hat. Dieses ›Typische‹ ist oft nur schwer greifbar und hat—auch sehr japanisch—viel mit einem Gespür zu tun. Dieses Design beeinflusst mein ästhetisches Empfinden und weckt das Bedürfnis, es näher zu ergründen.

Kenya Hara

Kenya Hara ist einer der auch weltweit berühmtesten zeitgenössischen Grafikdesigner Japans. Geboren 1958 studierte er an der Musashino Kunsthochschule und ist nun seit einigen Jahren dort Professor. Seit 2002 ist er Art Director bei MUJI und hat mit dessen Kommunikationsdesign wohl entscheidend zum Erfolg dieser Marke beigetragen. Er leitet das Hara Design Institute und ist neben seiner Arbeit als Gestalter auch als Kurator tätig.

Er sagt, es sei seine Absicht, nicht Dinge zu entwerfen, sondern Umsetzungen.¹ Sein Design ist reduziert und schlicht, arbeitet mit klaren Kontrasten und zeichnet sich sehr durch den gekonnten Einsatz von Weißflächen aus. Viele seiner Arbeiten spiegeln eben jene japanische Charakteristik wider, die eingangs beschrieben wurde.

Japanischer Designer

Er lebt und arbeitet inTokyo, ist viel in der Welt gereist, bezeichnet das Besuchen fremder Länder und den Austausch mit Ausländern als bereichernd und inspirierend und hält es dennoch für wichtig, sich in seiner Arbeit auf japanische Gestaltungswerte zu konzentrieren. Die Vermischung in der neuen Mediengestaltung, die nicht mehr erkennen lässt, ob sie aus London, Barcelona oder Tokyo kommt, sieht er kritisch und bemüht sich, nicht selbst Teil dieses Trends zu werden, der zu einem ›homogenen Grau‹ führt.

Dabei sieht er sich nicht als extrem patriotisch. Er hält den internationalen Austausch für wichtig, möchte selbst jedoch kein Kosmopolit werden.² Japan besser kennen zu lernen ist ihm wichtig. Er meint, dies liege an seiner unbewussten Angst davor, das Land nicht genug zu kennen. Dies führt auch zur Gestaltung für lokale Produkte und Einrichtungen in verschiedenen Regionen Japans. Dort findet er viele Produkte mit hoher Qualität, was er schätzt. Von sich selbst sagt er, dass er mit großer Sorgfalt gestaltet, da er den Sinn für echte Qualität nicht verlieren möchte.³

MUJI

Das Corporate Design für MUJI ist schlicht und minimalistisch und gerade dadurch sowie durch den Erfolg der Produkte wohl eines der weltweit bekanntesten japanischen Grafikdesigns. Es offenbart japanische Ästhetik und würde sich zur Analyse eines zeitgenössischen japanischen Designs gut eignen. Jedoch besitzt es keine Bildhaftigkeit, die sich in Bezug zu demThema meines Diploms ›japanische traditionelle Muster und Motive‹ stellen ließe.

Programme der Winterspiele 1998

Stattdessen habe ich Haras Programmheft für die Eröffnungs- und Abschlusszeremonien der Winterolympiade 1998 ausgewählt. Bei den verwendeten Abbildungen handelt es sich weniger um die Muster für Verzierungen von Stoffen, Papieren und Gegenständen, denen sich mein Abschlussarbeit primär widmet, doch zeigen sie die Verwendung von traditionellen Bildmotiven im Kontext eines modernen Designs.

Hara erhielt den Auftrag kurz vor Beginn der Spiele, als die Zeremonien bereits durchgeplant waren. Die Broschüre sollte die Gastfreundschaft der Olympiade ausdrücken und die japanische Kultur vorstellen. Er setzte dabei zwei Schlüsselkonzepte ein: Ein unvergessliches Material sowie den Einsatz moderner japanischer Grafik, in die die einheimischeTradition eingebettet war.⁴

Umschlag

Der Umschlag sollte für die Gäste der Zeremonien eine Manifestation der unvergesslichen Erlebnisse bei der Olympiade darstellen. Diese Idee war vor allem im Papier eingefasst, das an Schnee und Eis erinnern sollte. Das matte, weiße Papier stand farblich und taktil im Kontrast mit der roten, im glänzendem Foliendruck aufgebrachten Flamme.⁵

Das Deckblatt der Broschüre repräsentiert zu gleichenTeilen das Gastgeberland als auch die Olympischen Winterspiele. In veröffentlichten Beschreibungen wird auf die Eigenschaften von Schnee und die Bedeutung des Olympischen Feuers eigegangen. Unerwähnt bleibt der unübersehbare Bezug zur Nationalflagge mit rotem, die Sonne darstellenden Kreis auf weißem Grund. Die Flamme besitzt die Gestalt, wie sie auch bei Feuer-Darstellungen in Tempeln und Schreinen verwendet wird und verweist somit ebenfalls auf die japanische Tradition.

Papier

Herausragend in diesem Design ist die Sorgfalt bei der Wahl des Materials. Das weiße, bauschige Papier wurde speziell für diese Anwendung von Hara bei dem Papierhersteller Oji Paper Co., Ltd. in Auftrag gegeben, der ein offizieller Sponsor dieser Winterolympiade war. Das dicke Papier wurde mit einer erhitzten Form geprägt, wodurch die Fasern teilweise schmolzen und das Material semitransparent wurde. Dies sollte an Eis erinnern, die Prägungen an Fußstapfen in frischem Schnee. Hara wollte damit bei dem Betrachter den direkten Bezug zu den Winterspielen verdeutlichen und in ihm das Gefühl wachrufen, durch frisch gefallenen, unberührten Schnee zu stapfen.⁶

Die Liebe zur Haptik ist Kenya Hara auch nach dieser Arbeit geblieben. Neben dem Einsatz von großzügigem Weißraum zeigt sich hier also ein für ihn typisches Gestaltungselement. Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang die von ihm geplante und ausgeführte Designausstellung ›HAPTIC—Awakening the Senses‹ im Jahre 2004, die das Ziel hatte, den Besuchern aufzuzeigen, welche großartigen Designmöglichkeiten im Tastsinn schlummern.⁷

Typografie

Die Programmhefte waren dreisprachig, wobei die japanischenTexte vertikal und die französischen und englischen horizontal abgedruckt waren. Die unterschiedlichen Bewegungen erzeugten eine individuelle räumliche Dynamik. Zur Herangehensweise an das Setzen derTextfelder verweist Hara auf die Inspiration durch die japanischen Blumensteck-Kunst Ikebana. Im Bewusstsein der in alle Richtungen fließenden Buchstaben arrangierte er sie wie Blüten, um eine Spannung auf der Seite zu erzeugen, wodurch auf natürliche Weise ein entsprechend japanisch geprägter Raum entstand.⁸

Es ist eine charakteristische Eigenart der japanischenTypografie, sowohl waagerecht (von links nach rechts), als auch senkrecht (dann von rechts nach links verlaufend) gesetzt werden zu können. Dies erlaubt merklich mehr Freiheiten als die westliche Typografie. Ein Großteil der Schriftpublikationen ist weiterhin von der senkrechten Schreibweise im Blocksatz geprägt. Der hier angewandte Flattersatz wird nach jedem Satz gebrochen und mutet so mehr als Poesie an, was offenbar den zeremoniellen Charakter unterstreichen sollte.

Layout

Zum Ablauf der Eröffnungsveranstaltung gehörte ein in Nagano traditionell abgehaltenes Ritual, bei dem vier Pfeiler aufgestellt werden, um die dann ein Seil gespannt wird. Dieser geheiligte, ›leere‹ Raum, der ›Shi-i-shika‹ genannt wird, lädt die Götter ein, in ihm zu verweilen. Nach shintoistischem Glauben residieren Götter nicht in majestätischen Hallen, sie schweben über den Bergen und dem Meer und es besteht die Möglichkeit, dass sie eben von solchen ›nichts‹ beinhaltenden Bereichen angezogen werden. Dieser Bestandteil der Auftaktzeremonie ist mit reduzierten grafischen Abbildungen in das Design eingebettet. Die Aufteilung der Seiten mit ihren einzelnen Gestaltungselementen folgt Inhalten der Veranstaltung und der japanischen Kultur.⁹

Viele von Haras Arbeiten beinhalten diese japanische Sensibilität, dass leere Orte dazu einladen, mit etwas gefüllt zu werden. Er gestaltet keine gewaltigen Aussagen, sondern eher einen ›großen, leeren Behälter,‹ der mit Bedeutung gefüllt werden kann. Es ist der Betrachter, der dies tut.¹⁰ Dieser Moment, in dem Gegenstand und Betrachter eine Beziehung eingehen und etwas entsteht, gibt es auch im wabi-sabi, das jedoch ansonsten viele Unterschiede zu Haras Design aufweist. Das von ihm oft genutzte klare, tonlose Weiß wäre dabei beispielsweise völlig undenkbar.

Die sich durch Vorstellungskraft füllende Leere beschäftigt Hara sehr. In seinem Buch ›Weiß‹¹¹ schreibt er: »Manchmal verwenden wir Weiss in der Bedeutung Leere. Weiss als Nichtfarbe wird dann zum Sinnbild für das Nicht-Sein. Es kommt allerdings häufig vor, dass sich diese Leere nicht als Nichts oder als Fehlen von Energie zeigt, sondern vielmehr als Möglichkeit des Nochnicht-Seins, kizen, also als etwas, was erst noch mit Inhalt gefüllt werden muss. Unter dieser Voraussetzung kann die Verwendung von Weiss eine ungeheuer kraftvolle Energie im Hinblick auf die Kommunikation freisetzen. Ein kreativer Geist betrachtet ein hohles, leeres Gefäß nicht als wertlos, sondern als ein Übergangsstadium, als ein Anzeichen dafür, dass es irgendwann einmal befüllt werden wird.«¹²

Illustrationen

Verantwortlich für die Illustrationen war Hiroki Taniguchi (geboren 1957), dessen grafischen Stil Hara bereits bei den Entwürfen berücksichtigte. Zunächst hatten sie geplant, Berge abzubilden, was jedoch nicht so wirkungsvoll war, wie angenommen. Dann versuchten sie es mit Flammen und alles fügte sich zusammen.¹³

Bei den Motiven handelt es sich um Gegenstände der japanischen Kultur, hauptsächlich aus dem Shintoismus. Sie beleben das Layout, unterstreichen den Inhalt und rauben den anderen Komponenten dabei keine Aufmerksamkeit. In dieser Anwendung sind Taniguchis Illustrationen mit klaren Kanten und einfarbigen, einheitlichen Farbflächen sehr grafisch und klar. Die auf seiner offiziellen Internetseite einsehbaren Illustrationen sprechen heute eine deutlich andere Sprache. Sie sind verspielt, farbenreich mit satten und pastelligen Farbtönen und besitzen unregelmäßige, handgeführte Striche und Flächen, die mit Aquarell und Pastellkreiden entstanden sind und nicht am Computer entwickelt wurden.

Schlussfolgerung

Sowohl die Betrachtung des gewählten Designbeispiels als auch die Auseinandersetzung mit Kenya Hara und seiner Arbeit ermöglicht ein besseres Verständnis des japanischen Kommunikationsdesigns. Er selbst sieht sich als japanischen, nicht als internationalen Designer, was sich in seiner Herangehensweise an Gestaltung und deren Umsetzung klar widerspiegelt.

Das Prinzip, eine Kultur über ihre Sprache kennenzulernen, trifft auch hier zu. Der Einsatz von Weiß öffnet Räume zum Erfassen der japanischen Kultur und die gewählten bildlichen Elemente liefern nicht nur eine rein oberflächliche Darstellung der japanischen Ästhetik, sondern tatsächliche Erkenntnisse über die ihr zugrundeliegende Mentalität und Tradition.

Aus heutiger Sicht betrachtet erkennt man in diesem Design eindeutig die Zeit, in der es entstanden ist. Die Grafiken und selbst die Anordnung aller Gestaltungselementen sähen heute anders aus, leichter vermutlich und eventuell farbenfroher. Auch ist heute mehr über dieses nichts desto trotz weiterhin exotische Land bekannt, sodass die verwendeten Motive wahrscheinlich weniger explizit ausfallen würden.

Die Gestaltung ist somit nicht zeitlos und hat dennoch nichts von ihrer Aussage eingebüßt: Eine Erinnerung an die Olympischen Winterspiele 1998 in Nagano und an Spuren in japanischem Schnee.


  1. Weiss, Seite 96
  2. Idea Archive—Design of Kenya Hara, Seite 117, 120
  3. Idea Archive—Design of Kenya Hara, Seite 58
  4. Designing Design, Seite 158,
    Idea Archive—Design of Kenya Hara, Seite 28
  5. Designing Design, Seite 160, 162f
  6. Idea Archive—Design of Kenya Hara, Seite 28,
    Designing Design, Seite 162
  7. Profil auf der Internetseite des Hara Design Instituts: www.ndc.co.jp/hara/about/en/
  8. Idea Archive—Design of Kenya Hara, Seite 30 Designing Design, Seite 159
  9. Idea Archive—Design of Kenya Hara, Seite 35
  10. Idea Archive—Design of Kenya Hara, Seite 35
  11. Kenya Hara: Weiss, Lars Müller Publishers, Baden 2010, deutsche Erstau age; auf Japanisch erstmals 2008 erschienen
  12. Weiss, Seite 42
  13. Idea Archive—Design of Kenya Hara, Seite 35

Anhang: Bibliografie

Hiroki Taniguchi: homosapiensaru, offizielle Homepage (besucht April 2015), www.homosapiensaru.com

Kenya Hara: Designing Design, Lars Müller Publishers, Baden 2008, Neuauflage (Erste Auflage 2007)

Kenya Hara: Hara Design Institute, offizielle Homepage (besucht April 2015), www.ndc.co.jp

Kenya Hara: Weiss, Lars Müller Publishers, Baden 2010, Erstauflage

Yuichi Ogawa (Hrsg.): Idea Archive—Design of Kenya Hara, Idea—international graphic art and typography, Seibundo Shinkosha Publishing, Tokyo, Mai 2008, Dritte Auflage (Erste Auflage April 2007, Reproduktion Idea Nr. 306 September 2004)


Anhang: Bildnachweis

www.ndc.co.jp/hara/en/works/2014/08/naganoolympic.html