Looking at the Essentials

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Die Reiselust kriecht in mir empor während ich auf einen alten Shinkansen, dem ›japanischen ICE‹, warte, der mich gen Norden bringen wird. Nachdem ich mich gerade noch in japanischem Rhythmus durch die Menschenmassen geschoben habe, heißt es ab nun durchatmen, das Tempo verlangsamen. Gelassenheit schöpfend atme ich die warme Luft ein, die noch Großstadtluft ist. Mein Blick gleitet über die vielen Schienen und Bahnsteige, ich mache ein Foto. Mit dem Handy. Für Instagram. Ist das schon Fotografie? Ein bisschen natürlich, aber es geht mir vorwiegend darum, etwas von diesem Moment hier zu teilen. Obwohl ich gerade eigentlich so glücklich bin, alleine unterwegs zu sein, und auch nur einen kleinen Ausschnitt äußere. Was wirklich in mir vorgeht, lasse ich nicht durchblicken. So sehr ich auch ›zu etwas hinlaufe‹, so sehr ist es eigentlich eine Flucht. Ich liebe Tokyo, aber ich muss hier raus. Ich fliehe nicht vor der Stadt, ich fliehe vor mir selbst. Und gleichzeitig renne in mich hinein, öffne mich. Genau das, was ich gerade brauche. Und Reisen erlaubt mir das.

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Aizu-Wakamatsu Japan 2016 © Wanda Proft, WANDALISMUS.INK

Aizu-Wakamatsu Japan 2016 © Wanda Proft, WANDALISMUS.INK

Während ich meinen Streifzug weiter fortsetze, verfestigt sich mein Eindruck von Vereinsamung immer mehr. Kaum ein Mensch ist unterwegs, aber es liegt nicht nur daran, dass es ein Werktag ist. Selbst die für gewöhnlich lebendigen Schulen und Kindergärten sind von einer merklichen Leere befallen. Die jungen Menschen, erzählt mir derjenige, durch den ich hergefunden habe, verlassen alle die Stadt um in den großen Städten Arbeit zu finden. Aizu-Wakamatsu scheint zu groß für zu wenig Menschen geworden zu sein. Mir kommt es so vor, als würde sie nur darauf warten, wieder mit neuem Leben gefüllt zu werden. Noch nie ist mir so sehr bewusst geworden, dass Städte eine Art von Seele besitzen, und diese Erkenntnis erdrückt mich jetzt fast. Ich fotografiere einige der verlassenen Läden mit ihren von Zeit zerfressenen Gardinen und Markisen. Es sind Anblicke, die ich in ihrer gewissen Morbidität eigentlich sehr gerne mag, aber hier betrübt mich jeder davon ein bisschen mehr weil es irgendwie so wenig gibt, das sich dem Verfall im lebendigen Kontrast zur Wehr setzen kann. Es verschlägt mir fast die Sprache – im gestalterischen Sinne – und so fällt es mir immer schwerer, den Abzug zu drücken.

Aizu-Wakamatsu Japan 2016 © Wanda Proft, WANDALISMUS.INK

Aizu-Wakamatsu Japan 2016 © Wanda Proft, WANDALISMUS.INK

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Verwöhnt mit einem reichhaltigen japanischen Frühstück mache ich mich erneut ungewohnt früh und voller Tatendrang auf den Weg. Diesmal nehme ich den Bus zurück zum Bahnhof und entdecke auf diese Weise ein paar neue Ecken der Stadt, die mir so frohgemut schon viel freundlicher vorkommt. Auch die Menschen, die mein Lächeln durch die Scheiben mit teilweise umwerfend herrlicher Leichtigkeit erwidern, haben ihren Anteil daran.

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Warm ist es und bestes Reise- und T-Shirt-Wetter – und doch liegt hier, gegen Ende April, noch Schnee. Aufgehäuft an halbwegs schattigen Flecken und dreckig-feucht abtauend, aber es ist Schnee. Auf diese Weise liebsam verwundert beginne ich die Route entlang der Goshiki-numa, eine Ansammlung vulkanischer Seen und Tümpel in sagenhaften Farben, denen sie den Namen ›Fünf-Farben-Moore‹ verdanken. Obwohl ich während meines Japanaufenthaltes ansonsten ausschließlich in schwarz/weiß fotografiere, muss ich hier einfach in den Farbmodus zurückschalten und komme aus dem Staunen und Einfangen der gesehenen Schönheit gar nicht mehr heraus. Junge Malerei-Studentinnen erobern sich diese Landschaft in Öl und geben zusammen mit ihren spiegelnden Leinwänden selbst ein hervorragendes Motiv ab.

Painting Goshiki-numa Japan 2016 © Wanda Proft, WANDALISMUS.INK

Painting Goshiki-numa Japan 2016 © Wanda Proft, WANDALISMUS.INK

Die Kamera fest im Anschlag steige ich zunächst einen Hang hinauf um dort durch knöchrige Bäume eine Szenerie zu erblicken, die ich so noch nicht gesehen habe. Vor immergrünen Nadelbäumen hebt sich trockenes Gestrüpp und Geäst ab, das irgendwie die Vulkane hier erahnen lässt, aus deren reichhaltiger Kraft all das hier geschöpft wird. Danach wate ich über morastigen Boden ein bisschen näher an den ersten, größten und tief-türkis-farbenen See heran und habe das Gefühl, ich werde von der Natur vereinnahmt. Sie wispert mir unaufdringliche Zaubersprüche ins Ohr mit ihren plätschernden Bachläufen, raschelnden Blättern und leisem Gesumm. Aber nichts kommt den überwältigenden Anblicken gleich wenn hinter einer Wegbiegung das nächste bunte Nass auftaucht und einen staunen lässt, welche Farben die mineralhaltigen Gewässer noch hervorbringen können.

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